„Ich bin sogar Chefreporter, die wollen mich lebenslang behalten!“, durfte LVZ-Sportredakteur Guido Schäfer im Oktober verkünden, als ihn Moderatorin Esther Sedlaczek vor Anpfiff und nach dem Halbzeitpfiff des RB-Heimspiels gegen Heidenheim vor die Sky-Kamera einlud. Um jedweden Kompetenzzweifeln schon vorab den Garaus zu machen: Der phänomenale Aufstieg des fidelen RB-Maskottchens ist nur folgerichtig, hat in der aktuellen Spielzeit neue Höhepunkte erreicht und soll deshalb hier besonders gewürdigt werden.
Endlich im Rampenlicht
Nach einer langjährigen Zweitligakarriere in Mainz, der DFB-A-Lizenzinhaberschaft, einem BWL-Abschluss, dem Volontariat bei der Mainzer Allgemeinen Zeitung und der schon über ein Jahrzehnt währenden umtriebigen Recherchen im Tag- und Nachtleben des Leipziger Fußballs (1, 2) mausert Schäfer sich nun zum gern gewonnenen Fernsehgast. Egal ob plauderfreudig im „Leipzig Fernsehen“, bei einer Kochsendung auf „Info TV“, als schrulliger Anchor des MDR-„Schäferstündchen“ oder nicht zuletzt im Gewand des RB-Vertrauten auf Sky. Endlich. Denn im Rampenlicht fühlt er sich augenscheinlich am wohlsten.
Jedoch wie kaum anders zu erwarten, nutzte der 50-Jährige seine kurzen Minuten im Pay-TV-Rampenlicht einerseits, um das bemüht bedeutungsschwere Mantra wiederzukäuen, warum Leipzig bitteschön Bundesligafußball „verdient“ (!) habe. Weil ja der erste Deutsche Meister aus der Stadt kommt und sowieso der DFB ja auch hier gegründet wurde. Bekanntlich liegen diese Ereignisse mehr als ein Jahrhundert zurück. Allzu nachvollziehbar also, „dass es mir relativ egal ist, ob Red Bull oder Nivea Leipzig“ nun ähnliche Meisterstücke vollbringen wird. Gäääääähnende Pseudo-Indizien, die so verschlissen wie sein herbstfarbener Allzweckmantel daherkamen.
Andererseits schien es ihm überhaupt viel wichtiger, sich im eigenen Klischee zu suhlen, das der Kreuzer (Ausgabe 12/2013) einst wohl nicht zu unrecht als Selbstinszenierung des „prolligen Luden im Lodenmantel“ identifizierte. „Wir sehen tollen Fußball und haben schöne Frauen hier“, griente er mit lustmolchigen Seitenblick zur Moderatorin. Aber selbst der bis zum Bauchnabel bestens ausgeleuchtete V-Ausschnitt seiner bronzegebräunten Brust erweichte die sichtlich irritierte Sedlaczek nicht zum ohnehin schon derb misslungenen Greisenflirt. Traurigen Auges musste Schäfer einsehen: „Alte Männer werden gesiezt.“
Im Zweifel Untertan
Immerhin. Auch wenn das Candle-Light-Dinner mit der TV-Kollegin nur ein feuchter Tagtraum bleiben sollte: Ihm war nicht vorzuwerfen, es nicht wenigstens probiert zu haben. Ganz anders im Tagesgeschäft. Stets geriert er sich als Vertrauter der exklusivsten Gesprächspartner und unermüdlich aufdeckender Reporter, dem Breaking News nur so aus den Fingern fließen. „Der Rangnick holt im Winter zwei, drei Raketen. Und wenn er das wieder hört, will er mich töten“, wies der Draufgänger aus. Doch weder hat es erhöhten Nachrichtenwert, dass eh schon getätigte Millionentransfers wie Massimo Bruno und Marcel Sabitzer oder ambitionierte Spieler wie Kevin Kampl früher (Winterpause) oder später (nach dem Bundesliga-Aufstieg im kommenden Sommer) von der Salzburger in die Leipziger Filiale übersiedeln. Noch landet man einen nicht für möglich gehaltenen Scoop, wenn der gemeinhin wortkarge 100 Prozent-Klubeigener Mateschitz zur Interviewaudienz bittet (LVZ, 08.05.2014). Im Gegenteil. Es ist ein übler journalistischer Frevel, sich bei dieser Gelegenheit für dessen Herumpoltern und Erpressen der DFL instrumentalisieren zu lassen, anstatt kritisch nachzuhaken oder wenigstens objektiv über Statuten, Lizenzierung oder die Aushöhlung von Paragraphen zu schreiben.
Zugegeben, die Verantwortlichen des Leipziger RB-Ablegers machen es den hiesigen Pressevertretern ja auch keineswegs leicht. Es dürfte entmutigend wirken, wenn oben auf der Hierarchiepyramide des e.V. weiterhin konzernabhängige Vereinsvorstände und Aufsichtsräte thronen, an deren intransparenter Omerta sich tatsächlich recherchierende Journalisten und unabhängige Vereinsmitglieder (wenn es diese denn gäbe) sowieso die Zähne ausbeißen würden.
Für das fußballerische Entertainment wiederum sind – freilich außerordentlich erfolgreich – Doppel-Sportdirektor Ralf Rangnick und Cheftrainer Alexander Zorniger verantwortlich. Letzterer machte vor kurzem im Zuge des Bochum-Spiels seinem Unmut über die sportliche Berichterstattung Luft. Mit überzogenen Erwartungen, viel zu kritisch und überhaupt inkompetent bis ins Mark informiere die Berichterstattergilde. (Seine etwas überangestrengte Dünnhäutigkeit sei ihm jedoch verziehen, da nicht wenige Vertreter der Zunft aus Unwissenheit, Brandstifterei oder tatsächlicher Inkompetenz ein völlig harmloses Scharmützel zwischen ihm und Peter Neururer zum dumpfen Kulturkampf aufbauschen wollten).
No-Go-Area für Romantiker, Statutenheinis und Ewiggestrige
Dennoch: Wo blieb beispielsweise der sonst so todesmutige Diplom-Betriebswirt Schäfer in jenen Momenten, als Zorniger freiwillig Pirouetten auf dem glatteisigen Finanzterrain schlug? In der Pressekonferenz vor dem VfL-Spiel (16.49min bis 17.04min) schwadronierte RB’s Cheftrainer, der letzte Gegner aus Nürnberg habe nicht nur einen „höheren Transferwert“, sondern „ich geh’ auch mal davon aus, einen höheren Etat. Was man ja kaum glauben mag bei uns.“ Hach, herrlich, die Kuh für eine neuerliche Milchmädchenrechnung stand bereit zur Melkung. „Da bringst du mich auf etwas, Alex“, hätte der Chefreporter einwenden können, „wie hoch ist denn eigentlich euer Etat und überhaupt […]?“ Bloß gut, dass der der PK-Saal (erneut) einem weihrauchgeschwängerten Andachtsraum glich, in welchem doch bitteschön von der guten Sache gepredigt werden soll, um den bösen Geistern – Romantiker, Traditionalisten, Statutenheinis, Ewiggestrige, Kritiker jeglicher Couleur – „erst den Spiegel vorzuhalten“ und sie daraufhin geläutert verstummen zu lassen.
Die erste Kirchenbank halten allzu oft LVZ-Redakteure für sich reserviert. Von dort aus verbreiten sie ohne Sichtbeschränkung die gute Nachricht, dass die Heldenstadt Leipzig dank eines Heilsbringers alsbald die europäische Fußballbühne betreten wird. Natürlich ist es unfair, über Guido Schäfer nur zu nörgeln. Zweifellos gebührt ihm der Status des bestens vernetzten, lokalen Unikums. Er verkörpert teils eine vortreffliche Rampensauigkeit und gibt dafür stets allzu bereit den charmant-harmlosen Chauvi. Er kann über sich selbst lachen und das Publikum mit ihm über ihn.
Wenn sich der rasende Reporter nicht gerade offenkundig als untertäniger Mateschitz-Biograph anbiedert (Bspw. „Visionär, Macher, Weltmarktführer“, in: LVZ, 29.10.2014, S. 54.; „Reine Chefsache“, in: LVZ-„Aufsteigermagazin der Rasenballer“, Juli 2014, S. 7.), leakt er auch schon mal exklusiv den (bislang noch nicht bestätigten) Zentralstadionausbau. Oder durchforstet mit einem MDR-Kameramann mühelos den Kühlschrank im Trainerkabuff des Erfurter Walter Kogler, zieht blank vor dem leeren Dresdner K-Block, um Dynamos Angreifer Comvalius zu imitieren und fachsimpelt während eines FCE-Spiels mit den Pilzsammlern und Fans auf den Hügeln hinter dem Auer Erzgebirgsstadion. Ungeduldig zählen wir die Tage herunter, bis RB schließlich im Oberhaus angekommen ist – einzig und allein, um Guido Schäfer dann Sonntagvormittags dabei zusehen zu dürfen, wie er am launigen Sport1-Fußballstammtisch Jörg Wontorra zuprostet.
Der Chefredakteur als erster Fan
Nicht minder vermessen ist es, der einzigen lokalen Tageszeitung vorzuwerfen, die Daumen für den hochklassigsten Fußballklub der Stadt zu drücken. Sportlicher Lokalpatriotismus und Freude über die Erfolge der Aushängeschilder lesen sich verständlicherweise landauf landab aus jedem Regionalblatt heraus. Und noch weniger soll dieser wehklagende Wunsch nach mehr Journalismus als hanebüchene Verschwörungstheorie missverstanden werden. Aber durchaus klärungsbedürftige Fragen zu stellen, scheint zu viel verlangt für „Fan(s)“ die „Lust auf spannende Spiele, tolle Tore und gute Laune“ haben. Diese Selbstbeschreibung der LVZ-Redaktion stammt von niemand anderem als Chefredakteur Jan Emendörfer (Zit. aus dem LVZ-„Aufsteigermagazin der Rasenballer“, Juli 2014, S. 3.).
Wer also tatsächlich hofft, dass heikle Thematiken objektiv in der Leipziger Volkszeitung ausgefochten werden, wird dies vergeblich tun. Dort interessiert sich niemand etwa für übertriebene Bundesliga-Wohlfahrtsversprechen von McKinsey. Ebenso sucht keiner händeringend nach der Gemeinnützigkeit des e.V. oder recherchiert zu den Jahresbilanzen. Und am wenigsten wird dort abgeklopft, inwieweit die 50+1-Regel real Bestand hat, die Transfer- und Ausleihpraktiken den Rahmen des Möglichen gekonnt aushöhlen und welcher Drohgebärden des Gebieters und juristischer Winkelbegriffe es im Frühjahr 2015 wieder bedarf, wenn die Lizenz für das Fußballoberhaus in trockene Tücher gehüllt werden muss.
Verlag und Zeitung lassen sich gekonnt willfährig instrumentalisieren und sind zudem in ein wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis geraten. Nicht nur, dass der Betreiber des örtlichen Profiklubs zu einem augenscheinlich wichtigen und gern gesehenen Geschäftspartner geworden ist, monatlich das auf Lifestyle getrimmte Konzernmagazin beilegt und regelmäßige – teils ganzseitige – Anzeigen (Infos und Preise von Anzeigen in der LVZ) schaltet. Der Sportteil ist rhetorisch zuweilen eingekleistert wie eine Litfasssäule. Es strotzt vor wohlwollenden Laudationen. Firmenloyale Marketingparolen haben Einzug gehalten, wenn nahezu täglich die „Roten Bullen“ in Richtung Bundesliga durch die Zeilen walzen.
Der (Anzeigen)Kunde ist König
All das soll nicht nur dem Leipziger Fußball, sondern auch der darbenden Zeitung Flügel verleihen, deren Gesamtverkauf allein seit RB’s Oberliga-Debüt 2009 von 224.461 auf 193.673 Ausgaben (davon 174.771 Abos inklusive e-paper) gesunken ist (Zahlen online abrufbar bei der IVW). Parallel zu den dahinvegetierenden LVZ-Verkäufen ging eine distanzierte, gar kritische Anteilnahme und Auseinandersetzung bei den allermeisten hiesigen Berichterstattungen irgendwo Verschütt oder bleibt – wenn überhaupt – leider rar gesät.
Sicherlich runzelt Chefredakteur Emendörfer gelangweilt die Stirn bei der Beanstandung fehlender unabhängiger Berichterstattung, wird im Gegenzug „klare Zeilen, positive Zeilen, Aufsteigerzeilen“ seines Blattes verteidigen und „Absteigern und schlecht gelaunten Gutmenschen“ empfehlen, sich davon fernzuhalten (LVZ-„Aufsteigermagazin der Rasenballer“, Juli 2014, S. 3.). Wer so vorbildlich den Exorzisten darbietet, hat es sich redlich verdient, bei den Heimspielen high-fivend und mit Fanschal um den Hals durch die exquisite Sky-Lounge des Stadions zu stolzieren, während seine Redaktion – angeführt von Chefreporter Guido Schäfer – am nächsten Morgen abermals vom herrlichen, bunten, toleranten, friedlichen fußballerischen Disneyland im Osten vorschwärmt. Auch den letzten Zweiflern rief Red Bull unlängst eindringlich das untrennbare Motto in Erinnerung. Ganzseitig wurde in der 120-jährigen Jubiläumsbroschüre der LVZ (29.10.2014, S. 26.) verkündet: „Die Roten Bullen […] freuen sich darauf, auch in Zukunft gemeinsam Sportgeschichte zu schreiben.“
“Rampensauigkeit” schöner begriff;)