Ermüdungserscheinungen

Dieser Text erschien zuerst in der Erlebnis Fußball No 70 und ist für diesen Blogpost nur leicht verändert und aktualisiert worden.
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Man sollte sich nichts vormachen. RB ist dort angekommen, wo sie hingehören. Gekonnt und locker beherrscht der erst 2009 aus dem Boden gestampfte „Verein“ die etablierten Regeln des Bundesligafußballs und kann sich gleichzeitig als jung, wild und unvorbelastet darstellen. Und das wird auch erst mal so bleiben. Professionell und nüchtern aufgestellt in Bezug auf Vereinsmanagement und -vermarktung, Personalstruktur, Spieleraquise und Jugendausbildung, können sich einige andere Bundesligisten bei der österreichischen Niederlassung in Leipzig sogar noch etwas abschauen. Zudem rennen die Zuschauer dem Neuling die Bude ein. RB ist somit Realität und wird sich aus dieser wohl so schnell nicht wieder verjagen lassen. Im Gegenteil: Europa und ein neues Stadion rufen!

Ermöglicht wurde und wird das bekanntermaßen durch ein hunderte Millionen schweres Investment des österreichischen Weltkonzerns, über dessen genaue Höhe gemeinhin Stillschweigen herrscht. Nüchtern betrachtet, stellt RB diesbezüglich die konsequente Weiterführung und Zuspitzung dessen dar, was besonders die Spitzenclubs der Bundesliga bei der Suche nach Finanzierung des kostspieligen Alltagsbetriebs umtreibt. Bei der Bayern München AG sind mit Adidas, Audi und Allianz gleich drei deutsche Großkonzerne Anteilseigner. Borussia Dortmund ist ebenfalls als Aktiengesellschaft aufgestellt, auch wenn die Aktionärsstruktur kleinteiliger ist. VW bei Wolfsburg, Bayer in Leverkusen und womöglich demnächst Daimler in Stuttgart – überall stehen Großsponsoren und -geldgeber hinter den Vereinen und da haben wir noch nicht mal von den englischen, französischen und italienischen Topclubs gesprochen. Dort gehört die Finanzierung der Spitzenclubs durch Ölscheichs, Hedgefonds oder Konzernen aus dem fernen Osten fast schon zum guten Ton. Das große Geld ist jedenfalls längst etabliert im Profifußball.

RB-Kritik verfängt nicht mehr

Eine darauf bezogene Kritik finden wir (auch wenn uns das „Fußballgeschäft“ zuweilen anstinkt) zunehmend langweilig. Zumal sie auch nicht (mehr) verfängt. Kommt man heute mit Fans und Unterstützer von RB ins Gespräch, beim Grillen unter Freunden, beim Training des eigenen Amateurclubs oder an Spieltagen in der Bahnhofskneipe, wird schnell deutlich, dass diese sich nicht mehr auf „klassische“ Kritikpunkte einlassen. Im Gegenteil: Unumwunden und bereitwillig wird eingestanden, dass es sich bei RB um „Konzeptfußball“ handelt. Um einen Verein, der nur aufgrund von nicht selbst eingespieltem Geld und der konsequenten Anwendung heute im Spitzenfußball üblicher Prinzipien dorthin gelangte, wo er aktuell ist. „Tradition“ und den ganzen Klimbim brauche man dafür nicht. Dafür bekomme man „geilen Fußball“ zu sehen. Und es stimmt ja auch: Wie soll man mit kritischen Hinweisen auf die gesteigerte Kommerzialisierung und Fremdkapitalisierung noch punkten, wenn die großen Vereine anderer Städte es nicht anders machen (auch wenn sie historisch und organisatorisch anders dahin gelangt sind)? Oder anders gefragt: Was soll falsch daran sein, sich in das entfesselte Millionengeschacher, das der Spitzenfußball nun einmal ist, einfach einzukaufen und strategisch geplant mitzuspielen?

RB aus einer solchen kühlen bis zynischen Haltung heraus zu unterstützen, ist in Leipzig jedenfalls Mode geworden. Große Teile der meist nur am Rande fußballsozialisierten Stadtgesellschaft können und wollen an RB nicht schlimmes finden. Medien, lokale Wirtschaft und Rathaus – alle stimmen mit ein in die Hymne auf den Verein der kam, um die Stadt endlich zu erlösen aus den Jahren der Bedeutungslosigkeit. Denn das wurde auch schnell deutlich: Leipzig erhebt einen quasi-natürlichen Anspruch auf Bundesligafußball. Und da „die anderen“ ihre Chance hatten (Chemie und Lok), sei es nur noch durch den Eingriff einer dritten Partei möglich gewesen, die Stadt wieder auf die Bundesligalandkarte zu hiefen. Dort angekommen, feiert man sich nun selbst ab und weißt auf die positiven Effekte hin, die das österreichische Investment gebracht hat.

RB als eierlegende Wollmilchsau

Dabei werden vor allem wirtschaftliche Argumente vorgebracht. RB schaffe Arbeitsplätze, RB spühle Einnahmen für den Tourismus in die Stadt, RB sei Leuchtturm für eine ganze Region. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt dieser Aussagen, wird doch daran deutlich, womit RB eben auch in der Stadt über die Spieltage hinaus in Verbindung gebracht wird. Der Verein wird vor allem als Cash Cow verstanden, die der Stadt beim ankurbeln der eigenen Wirtschaft zur Seite stehen soll. Und alle wollen etwas abbekommen vom Kuchen. Städtische Betriebe, in Leipzig angesiedelte Autobauer, Mittelständler – alle steigen mit irgendwelchen Kleckerbeträgen ein, um nur ja auch ein wenig von der Aura abzubekommen, die RB in der Stadt versprüht. Die Stadionlogen sind an Spieltagen längst zu Orten geworden, an denen sich die städtische Wirtschaftsprominenz und die die gern dazu gehören würden, sich die Klinke in die Hand geben.

Dazu gesellt sich die lokal ansässige Leipziger Volkzeitung, die sich ohne wenn und aber dem „Projekt RB“ verschrieben hat. Besonders der Chef der Sportredaktion Chefreporter, der zwar hier und da mit amüsanten Zoten aus seiner eigenen Profizeit auftrumpfen kann, geht voll im RB-Kosmos auf. Genüsslich sucht er die Nähe zum Profikader, begleitet die Spieler mit in die Trainingslager und feiert sich überhaupt als denjenigen ab, der die exklusiven Inside Views vom Trainingsplatz und aus der Kabine erhaschen kann. Ein distanzierender Blick auf beispielweise die Gründungszeit der „Vereins“ und wie der Sächsische Fußballverband als Steigbügelhalter gleich beide Augen in Bezug auf die eigene Satzung zugedrückt hat, lässt sich ihm nicht nachsagen. Motto: Wer RB kritisiert, gehört zu den Vorgestrigen.

Mit der Geduld am Ende: Freut euch doch mal!

Überhaupt scheint die Geduld bei RB und dessen Apologeten langsam am Ende zu sein. Offenbar findet man, es wurde lange genug diskutiert und kritisiert. Spätestens seit dem Verlassen der 3. Liga finden etliche, es sei nun an der Zeit, dass die Sicht auf das reine Vergnügen nicht durch die ganzen Grübler und Nörgler verstellt wird, die immer nur wieder mit den gleichen Vorwürfen ankamen.

Aber auch auf Seiten des potentiell kritischen Publikums sind Ermüdungseffekte zu beobachten – ganz ähnlich wie in Bezug auf die TSG Hoffenheim. Der Ofen, an dem Gespräche zum problematischen Gebahren von RB geführt werden können, scheint jedenfalls zunehmend zu erlöschen. Alles schon mal gehört, wir können doch nichts daran ändern. Medial ist sowieso nichts zu erwarten. Sky und ARD aber auch die sogenannten „Leitmedien“ normalisieren RB weitgehend in ihrer Berichterstattung und entwickeln sogar eine hämische Freude, wenn RB mal wieder vor einem kritischen Publikum gewinnt. Die wollen jetzt auch mal langsam zur Tagesordnung übergehen, nicht immer so komplizierte Dinge denken und immer kritisch sein, das verdirbt sowieso die Laune. Im Zweifel imitiert man dann eine intellektuelle Haltung und zerrt den Tradition/Kommerz-Quatsch wieder vor, kaut ein bisschen drauf herum und spuckt ihn dann aus, um dann irgendeinen lockeren Spruch von wegen „frischer Wind“ und so zu bringen.

Kritik bleibt weiterhin nötig – aber wie?

RB als Tatsache einfach hinnehmen also? Wir finden, nein! Bloß weil RB nun etabliert ist und sich fußballerisch immer weiter eingroovt, ist die Grundlage dessen, was da entsteht immer noch nicht gut zu heißen! Als ob das Projekt nach fünf Jahren aufhört hätte, ein Projekt zu sein; als ob Mateschitz nur am Anfang dem Vereinsvorstand ein bisschen Geld in die Hemdtasche gestopft hätte („Nimm ruhig, Junge!“), das aber doch schon längst vergessen sei und er mittlerweile nicht mehr direkten Einfluss nehmen kann und nimmt. Als ob inzwischen die Mitgliedsbeiträge gesenkt und hunderte stimmberechtigte Mitglieder dabei seien. Als ob man ernsthaft an einer selbstbestimmten und auch mal schwierig werdenden Fankultur interessiert sei. Als ob das Ganze aufgehört hätte, in erster Linie ein Marketingzirkus zu sein.

Ob die vielen zu beobachtenden Proteste hilfreich dabei sind, um diese Punkte zu thematisieren? Wir sind zumindest skeptisch. Oft wirken sie auf uns kontraproduktiv, weil entweder zu simpel gedacht („Scheiß Kommerz!“) oder mit falschen Mitteln arbeitend (Bullenkopf in Dresden). Wirklich kreativ hat sich bisher noch keine Szene hervorgetan – vielleicht auch, weil aus den genannten Gründen eine Kritik immer schwieriger wird.

 

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