Dosierte Dossiers (1)

Wir starten mit guten Vorsätzen ins neue Jahr: eine neue wöchentliche Rubrik! Jeden Montag empfehlen wir Artikel, Berichte und Beiträge, die das Label Sportjournalismus verdienen. Also Dinge, die es mit Sicherheit nicht ins Red Bulletin schaffen. Wir präsentieren Perspektiven und Recherchen, die den Blick auf das Drumherum, das Dahinter und das große Ganze lenken – anstatt den aktuellen Spieltag als Edelfan oder Maskottchen abzufeiern. [Gruß an die LVZ!]

(“Newspapers” by JamesDeMers, public domain)

Sport und Kommerz

Seitdem man es ganz bequem als Podcast abonnieren kann, gibt es wenig plausible Ausreden, “Sport am Wochenende” vom Deutschlandfunk nicht im Medienmenü zu haben. Noch bis Mittwoch ist die Sendung vom 26.12. zum Thema “Sport und Kommerz” abrufbar.

Zwei Beiträge daraus dürften der geneigten Leserschaft dieses Blogs interessant erscheinen. Zum einen thematisiert Robert Kempe die Rolle von Gazprom im Weltfußball. Gazprom ist beileibe kein Sponsor, sondern geopolitisches Instrument. Bis 2018 zahlt man schätzungsweise 80 bis 100 Millionen US Dollar an die FIFA und kauft sich dafür in die feine Gesellschaft des quotenträchtigsten TV-Sports ein.

Andrea Schültke fragt zum anderen, wie zeitgemäß die Vorstellung vom Sportverein eigentlich noch ist. Während Apologeten des Marketingkonzerns ja gern altklug behaupten, 50+1 und das Vereinsrecht seien auch ohne Red Bull obsolet, bedienen sich die Sportkonzerne selbst dieser Konstrukte sehr gern – um kräftig zu sparen. Ebenso wie das IOC oder die FIFA profitiert auch RB Leipzig vom Vereinsrecht und wird damit unter dem Mantel der Allgemeinnützigkeit bei Steuerzahlungen begünstigt.

RB Leipzig im Zeitraffer

Vavel.com ist eine Online-Zeitung, die in verschiedenen Sprachen erscheint (und mit ihrem Namen deshalb auch auf den Turm von Babel anspielt). Für die englischsprachige Ausgabe hat der junge und offensichtlich sehr engagierte nordirische Autor Jonathan Walsh ein ausführliches Portrait von RB Leipzig gezeichnet. Der Artikel unterscheidet sich deutlich von den hinkenden “Cinderella Stories” ausländischer Medien, wie ein angeblich kleiner Aufsteiger (Etat und Marktwerte?) die Bundesliga erobert.

Walsh fragt stattdessen, ob das Modell Leipzig die Zukunft oder das Ende der Fußballkultur in Deutschland ist, und zeichnet dabei zunächst sehr ausführlich den Beginn des Fußballengagements von Red Bull (inklusiver der abschlägig beschiedenen Anfragen in St. Pauli und Düsseldorf) nach. Unter “The View in Germany” sammelt Walsh im letzten Drittel des Artikels Stimmen deutscher Fans und kommt damit auf Themen, die in einer durchschnittlichen Bundesliga-Berichterstattung zu RB nicht auftauchen: “Wieso Bayer, Wolfsburg und Hoffenheim etwas anderes als RB sind” und “Der Osten im Aufschwung – nicht wegen RB”.

Wie der Sportsponsor Red Bull das Unmögliche provoziert

Uwe Buse beleuchtet in “Spiel ohne Grenzen” im SPIEGEL 1/2017 [€] das Verhältnis von Action- und Extremsportlern und dem österreichischen Marketingkonzern:

Die meisten Athleten sind jung, viele noch nicht mal volljährig, wenn sie ins Blickfeld der Geldgeber gelangen. Verträge, die mehr bieten als Verschleißteile und Reisespesen, sind ein rares Gut. Die Position von Sponsoren ist in der Regel so stark, dass Verträge nicht verhandelt, sondern gewährt werden.

Während die ARD-Doku “Die dunkle Seite von Red Bull” (2013) etwas reißerisch vorgab, die “Hintergründe von Todesfällen” aufzuklären, gelingt es Buse sehr viel besser, die Mechanismen des Geschäfts zu beschreiben, indem er nah an jungen Actionsportlern berichtet. Die Fakten sind traurig und bekannt: Seit 2009 starb jedes Jahr mindestens ein von Red Bull gesponsorter Extremsportler. Lebendig zu Helden erklärt, sucht man nach den Namen der Toten vergebens auf der Red Bull-Website, sie passen nicht ins inszenierte Bild. (Ausnahme ist der verunglückte Basejumper Shane McConkey, Hauptfigur eines 90-minütigen, von Red Bull produzierten Dokumentarfilms.)

Buse portraitiert einen jungen Freeride Mountainbiker, der sich diesen Sommer als einer der wenigen öffentlich gegen die gesundheitlichen Folgen der Vermarktungslogik “höher, schneller, weiter” gestellt hat. Unter dem Hashtag #fuckrampage hat Cameron Zink den Sponsor nach einem Einladungsrennen mit schweren Unfällen (20 % der Starter schieden verletzt aus, einer bleibt gelähmt) schwere Vorwürfe gemacht. Interessanterweise musste Red Bull dadurch von der eigenen Kommunikationspolitik abweichen, sich explizit zur Kritik äußern und nach einem runden Tisch mit den Fahrern Zugeständnisse an die Sportler machen.

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