Ein zentraler Punkt aller RB-Kritik ist ja die – subtil gesagt – enge Bindung von RB an die Firma des Gebieters. Verlässlich kommt an dieser Stelle das Standardargument zwei ins Spiel:
„Auch bei den Anderen haben doch Firmen das Sagen!“
Mittlerweile immer wird bei diesem Punkt auf Bayer Leverkusen verwiesen: Die dürften ja sogar ihren Sponsor im Vereinsnamen tragen. Damit ist dann nicht nur RB verteidigt, sondern gleich noch klargemacht, dass es eigentlich die anderen Vereine sind (an dieser Stelle gern: „die aus dem Westen“), die tatsächlich Privilegien genießen.
Die Sache mit dem Sponsor im Namen ist etwas, das auch Red Bull gern gemacht hätte. Allerdings verbieten die Statuten des DFB die direkte Nennung eines Finanziers im Vereinsnamen. So kam bei der Gründung des Leipziger Vereins irgendjemand auf die Idee mit „Rasenballsport“, das mit RB abgekürzt wird und damit die Verbindung zum eigentlichen Produkt herstellt. (Wir möchten uns den Verlauf dieser Sitzung dieses Meetings lieber gar nicht erst vorstellen.)
So verfuhr schon 1996 der Kosmetikhersteller LR-International, der den örtlichen Verein in Ahlen unterstützte und das Firmenkürzel im Vereinsnamen „Leichtathletik- und Rasensport“ unterbrachte – eine im Übrigen traurig-schöne Geschichte, um das Elend von firmenabhängigen Vereinen zu illustrieren. Der Wille, das eigene Produkt auch in den Titel eines Vereins zu hieven, war also schon vor RB stärker als die damit verbundenen Peinlichkeiten mit den Vereinsnamen. Man braucht nur links und rechts in andere Sportarten und andere Ligen zu schauen, um zu erkennen, wie weniger skrupellos Sponsoren und Stakeholder beim Kampf um Geld und Aufmerksamkeit sein können. Beispiele gibt es genug, aus dem österreichischen Fußball (vgl. die Salzburger Filiale) wie aus der deutschen oder türkischen Basketball-Liga.
Wie aber lief eigentlich die Geschichte in Leverkusen? Der dortige Verein wurde 1904 als Betriebssportverein des Bayer-Werkes gegründet. Er besteht seit dieser Zeit und unterteilte sich von Beginn an in diverse Abteilungen. Seine Gründung hatte allerdings keine vordergründigen Marketing-Interessen, sondern erfolgte im Kern als Sportverein, der sich eben um das lokal wichtige Werk gründete. (Wichtiger als Marketing war bei Betriebssportvereinen die Distanz gegenüber politisch motivierten Vereinsgründungen.) Der Name von Bayer war damit von Beginn an Teil des Vereinsnamens.
Der aktuelle Leverkusener Fußballverein bekommt weiterhin Geld von Bayer. Es handelt sich dabei um einen festen Betrag, der allerdings mit wohl 25 Millionen Euro für gegenwärtige Profifußballverhältnisse keine astronomischen Höhen mehr erreicht und seitens des Werkes auch nicht beliebig erhöht wird – man denke nur an die langwierige Suche nach einem Trikotsponsor nach der Pleite von Teldafax. Vor allem aber wurden Lehren aus den finanziell ziemlich zügellosen Jahren unter Manager Reiner Calmund gezogen. Bayer ist damit weiterhin wichtig für den Bundesliga-Verein, allerdings nicht alleiniger Sponsor.
Der Name hat etwas mit Bestandsschutz zu tun. Das schon genannte Statut des DFB sieht vor, dass „ Änderungen, Ergänzungen oder Neugebungen von Vereinsnamen und Vereinszeichen zum Zwecke der Werbung […] unzulässig“ sind. Vereine, die von Beginn einen Firmennamen trugen, dürfen diesen behalten. Das hat nicht nur etwas mit Stetigkeit und Tradition zu tun, sondern hängt auch damit zusammen, dass bei Beispielen wie Ahlen oder Leipzig die Werbung über den Vereinsnamen viel stärker als eigentlicher Zweck des Firmen-Engagements zu bewerten ist.
Solche Ausnahmen sind (wie alle Ausnahmen) sicherlich diskutabel. Uns scheint es aber abenteuerlich, aus der Existenz von Bayer Leverkusen oder von Carl Zeiss Jena ein Recht für RB abzuleiten, die Firma des Gebieters im Vereinsnamen unterzubringen. RB in Analogie zu den anderen Vereinsgründungen als Betriebssportverein zu bezeichnen, ist schon kaum noch zum Lachen. Na gut, zugegeben: Wir haben gelacht. Sehr sogar. Wenn aber tatsächlich jemand aus einem richtigen Betrieb dabei sein soll, müsste der Verein in Nüziders im Vorarlberg ansässig werden. Dort wird das Zeug im Hause der “Rauch Fruchtsäfte GmbH & Co OG” nämlich abgefüllt. In Fuschl am See wird nur das Geld gezählt, und u.a. in Leipzig das Fußballmarketing betrieben. Wird aber keine leichte Aufgabe in Nüziders. Die neue Betriebssportgruppe müsste mit dem örtlichen Eisstockschützenverein Nepomuk und natürlich den Fußballern vom FC Nüziders konkurrieren. Aber wie sagte der Gebieter kürzlich so forsch wie kryptisch: „Uns geht es bei allem, was wir tun, um die Sinnhaftigkeit, auch wenn sie sich vielleicht erst im Nachhinein bestätigt.”
Aber die anderen!
Eine andere Variante des Standardargumentes verweist auf Hoffenheim oder Wolfsburg und mault: „Na gut, dann eben kein Betriebssportverein. Aber sonst: Was ist denn bei SAP und VW anders als bei uns?“
An dieser Stelle wird es dann tatsächlich ein wenig mühsam, weil man schnell in die unschöne Lage gerät, Vereine zu verteidigen, die so angenehm sind wie eine Lavadusche. Sagen wir es also lieber gleich: Nichts liegt uns ferner, Hoffenheim oder Wolfsburg als edelmütige Fußballvereine darzustellen, an denen sich RB mal ein Beispiel nehmen sollte. Diese Truppen nerven unglaublich. Sie sind uninteressant und lassen einen auch deshalb ratlos zurück, weil dort nahezu beliebig viel Geld in beliebig viele Sachen investiert wird, kaum Kontinuität im Kader herrscht, fußballerisch selten Innovatives rauskommt und zugleich die Vereine ihre Gier nach Erfolg nur mühsam hinter Floskeln wie „schrittweiser Aufbau“ und „in Ruhe entwickeln“ verbergen können.
Das schließt nicht prinzipiell aus, dass solche Zombie-Vereine wenigstens zeitweise sportlich sinnvoll arbeiten können. Hoffenheim und Wolfsburg sind ja mit ihrer Jugendarbeit ganz vorn dabei. Das muss aber nicht gleich als ehrenwerter Dienst an der Gesellschaft angesehen werden, sondern ist schlichtweg das professionelle Nutzen und Entwickeln von “Ressourcen” und “Humankapital“. (Wir verwenden diese Sprache, damit uns auch Ralf Rangnick versteht. Er würde natürlich hier noch seinen Lieblingsbegriff von den Blue Chips einbauen. Das Seminar, wo er das aufgeschnappt hat, muss wirklich überzeugend gewesen sein.)
Fast schon witzig ist es ja außerdem, dass sich beispielsweise Hoffenheim regelrecht winzig ausnimmt gegenüber Vereinen wie Manchester City oder dem aktuellen Rauschkäufer Paris Saint-Germain. Gerade in England ist ja aufgrund anderer rechtlicher Bestimmungen als beispielsweise in Deutschland die komplette Übernahme eines Vereins durch einen Investor möglich und damit die Zustände noch viel schlimmer, was den Durchgriff der Eigentümer angeht.
In Deutschland gilt bekanntlich die Regel, dass auch bei ausgegliederten Profiabteilungen die Stimmen- , also Anteilsmehrheit beim Verein zu bleiben hat. Ausnahmen sind hier (wieder) Leverkusen, wo die Bayer AG hundertprozentiger Eigentümer der Fußballabteilung ist, und Wolfsburg, wo sie ebenfalls zu 100% zu VW gehört. Begründet wird dies jeweils damit, dass dort „ein Wirtschaftsunternehmen seit mehr als 20 Jahren den Fußballsport des Muttervereins ununterbrochen und erheblich gefördert hat“. Ursprünglich war in diesem Passus noch der Stichtag 1.1.1999 eingefügt. Auf Betreiben von Hannovers Präsident Martin Kind wurde diese Regelung aber gestrichen, sodass auch der Hörgerätehersteller wohl bald den ganzen Verein übernehmen wird. Auch in Hoffenheim ist Hopps Einfluss real viel größer als 49 Prozent, weil er die Fußballabteilung über eine Betreibergesellschaft kontrolliert, die zu 96% ihm gehört.
Aber, und damit kommen wir zum eigentlichen Punkt: Nur, weil es woanders auch schlimm ist, wird das Projekt RB noch lange nicht appetitlicher. Und das „ist doch überall das Gleiche“-Gerede ist schon ziemlich dürftig und klingt nach einer unschönen Mischung aus kompletter Abgebrühtheit und ‚ich will jetzt endlich, was mir zusteht!’ (vgl. Simplicissimus-Argument aus der ersten Folge).
Immerhin: Hoffenheim und Wolfsburg sind Vereine, die mehr als eine Fußballmannschaft zu bieten haben, und auch nach einem Rückzug von Hopp und VW werden diese Vereine irgendwie weiter bestehen. Das macht sie noch lange nicht zu Traumvereinen, unterscheidet sie aber dann doch von RB. Dort weiß ja keiner, wie lange der Gebieter Bock hat, und wenn Rangnick von 30 Jahren redet, auf die die Planungen angelegt sind, klingt das halb wie eine Aufforderung zum ekstatischen Applaus und halb wie eine mahnende Erinnerungsmail nach Fuschl am See.
Irgendwie ist es am Ende aber wie bei Pest oder Cholera. Wobei uns der Eindruck nicht verlässt, dass RB wie Pest und Cholera zugleich ist.