Dosierte Dossiers (2)

Jeden Montag empfehlen wir Artikel, Berichte und Beiträge, die das Label Sportjournalismus verdienen. Also Dinge, die es mit Sicherheit nicht ins Red Bulletin schaffen. Wir präsentieren Perspektiven und Recherchen, die den Blick auf das Drumherum, das Dahinter und das große Ganze lenken – anstatt den aktuellen Spieltag als Edelfan oder Maskottchen abzufeiern. [Gruß an die LVZ!]

(Michael Gaida, CC0, public domain)

“Wir widmen den Sieg dem Präsidenten Berlusconi”

Birgit Schönau hat für die Süddeutsche Zeitung ein sehr schönes Stück über die Verquickung von Politik und Fußball in Italien geschrieben. Das Zitat in der Überschrift deutet es an: Silvio Berlusconi wird im Frühjahr die Präsidentschaft des AC Milan abgeben. Zum Ausscheiden des charismatischen Herrschers zeigt Schönau nicht nur, wie Berlusconi die Ehrentribüne, das Fernsehen und die politische Bühne mit den gleichen Mitteln bespielt hat. (Der Verweis auf Berlusconis Kaderpolitik ist dabei spannend.)

Sie zeichnet ein Portrait des italienischen Profifußballs im Umbruch: Viele Stadien sind halbleer, der spielerische und finanzielle Anschluss an die absolute europäische Spitze droht verloren zu gehen. Die alte Dame hat schon umgesteuert und nun öffnet auch Milan das Tor für ausländisches Geld. 200 Millionen Euro haben die chinseischen (!) Investoren bereits überwiesen, die endgültige Übernahme steht wohl im Frühjahr an.

Zu diesen finanziellen Dimensionen und der Geschwindigkeit des Umbaus schreibt Schönau: “Angesichts dessen, was in Mailand abgeht, sind deutsche Debatten um RB Leipzig nur Schrebergarten-Geschnatter.” Mit diesem Vergleich hat die Autorin im Hinblick auf die Qualität vieler Debatten um RB nicht unrecht (schöne Beispiele für Schrebergarten-Geschnatter explizit auch auf der “Pro”-Seite).
Wir möchten dennoch ergänzen, dass gerade Schönaus Studie der Wahlverwandtschaft von Charismatikern, Macht und Fußball bei den Gartenfreunden Mateschitz, Rangnick und Mintzlaff zu verärgertem Geschnatter führen würde. Zu deutlich wird an Schönaus Blick nach Italien, wie das Spiel der Massen zum Vehikel der Interessen der Wenigen wird – egal ob als modernes Wagenrennen oder zur Gewinnvermehrung.

50+1, TV-Gelder und fairer Wettbewerb

Weder aus der vergangenen Woche, noch im engeren Sinne Sportjournalismus: eine Folge des FC St. Pauli Fan-Podcasts “Millernton” aus dem September 2015. Dass es die zwei Stunden Audio dennoch in diese Liste schaffen, liegt an den hervorragenden Fragen an den ebenso hervorragenden Gast der Folge, Andreas Rettig. Der ist nach Stationen in Leverkusen, Freiburg, Köln und Augsburg sowie als DFL-Geschäftsführer mittlerweile kaufmännischer Geschäftsleiter beim FC St. Pauli.

Im Gespräch geht der erfahrene Fußball-Manager vor allem ab 1:13:17 auf seine Ansichten zu und Einsichten in die Organisation des wirtschaftlichen Wettbewerbs der Profiklubs ein. Rettig formuliert dabei mehrfach die Sorge, dass sich insbesondere in der Bundesligatabelle nur noch der Mitteleinsatz des wirtschaftlichen Wettbewerbs abbilde, nicht mehr sportliche Konzepte, wie etwa die Arbeit beim SC Freiburg. Das ist insofern problematisch, als dass zur Ausschüttung der Vermaktungsgelder ja wiederum ausschließlich die sportlichen Platzierungen herangezogen werden. Da ist es den Investoren-Klubs plötzlich sehr recht, dass sie sich in keinem “freien Markt” sondern in einem reglementierten Spielbetrieb befinden. An Details wie der Planungssicherheit in Budgetfragen und dem daraus resultierenden zeitlichen Vorteil auf dem Transfermarkt macht Rettig zudem deutlich, wie sich die Bundesliga dadurch immer mehr zum “closed shop” entwickelt.

Man gewinnt bei den Schilderungen und launigen Anekdoten (Sumoringer für den asiatischen Markt!) das Bild eines leidenschaftlichen Managers, der Fußball zuerst als Spiel und Teil der kulturellen Identität denkt, nicht als Absatzmarkt. Unsere Salzburger Freunde werden übrigens auch mit einem Bonmot am Rande erwähnt. Auf die Frage nach alternativen Ausschüttungskriterien (wie sie etwa “Team Marktwert” fordert) führt Rettig an, wie schwierig diese zu messen seien. Würde etwa die Mitgliederzahl über Ausschüttungen entscheiden,

“dann würde Herr Mateschitz auf die Idee kommen und sagen: ‘Jetzt bekommen alle Leipziger eine kostenlose Mitgliedschaft’.”
– Andreas Rettig im Millernton #33

Abgehängte Amateure

Gleich zwei Interviews der vergangenen Woche thematisieren Probleme des Amateurfußballs. Der KICKER hat in der Montagsausgabe vom 2. Januar [S. 32-33; Teaser online] mit Mainz 05-Vizekapitän Stefan Bell gesprochen, der ehrenamtlich als Vorsitzender beim Kreisligisten FV Vilja Wehr tätig ist. In der 11FREUNDE kommt zudem Sebastian Kockmann zu Wort, der sportlicher Leiter bei Eintracht Rheine in der Oberliga Westfalen ist. Beide machen – teils drastisch – auf strukturelle Probleme des deutschen Fußballs aufmerksam.

Bell zeigt sich ob seiner Doppelperspektive als Ehrenamtlicher und Bundesligaprofi sehr aufgeklärt und reflektiert. So fragt er in einer lesenswerten Passage, ob in der eigentlich stabilen und funktionierenden Bundesliga tatsächlich immer weitere Maßnahmen zur Erlössteigerung vorgenommen werden müssen: “Der einzige Grund, der immer genannt wird ist England.” In diesem Zug spricht sich Bell gegen die weitere Zerstückelung des Spieltags und die Ausweitung und Aufstockung von Fußballwettberwerben auf internationaler Ebene aus:

“Klar wird im ersten Moment mehr Geld eingenommen. Die Frage ist: Ist das nachhaltig?”
– Stefan Bell im Kicker 01/2017

Kockmann geht in der 11FREUNDE auf die Nöte der halbprofessionellen Vereine ein. Diese sehen sich in einem wirtschaftlich schwierigen Zwiespalt: Sie konkurrieren auf der Einnahmenseite um Aufmerksamkeit auf einem vom Profifußball dominierten Markt, um im Gegenzug die ressourcenintensive Grundlagenarbeit, wie etwa die Jugendarbeit, zu stemmen. Dabei fordert er insbesondere von den Verbänden mehr Unterstützung. Abschließend wird er gefragt, was er sich im Sinne des Amateursports wünschen würde:

“Vielleicht das: Support your local team. Der einzelne Konsument, der einzelne Fan entscheidet, wie es weitergeht. […] Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.”
– Sebastian Kockmann bei 11FREUNDE

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