Das dritte Standardargument, wenn es um die Zustimmung zu RB geht, bekamen wir letztlich in einer Neuauflage von Matze Sammer zu hören. Die besondere grammatikalische Struktur seines Satzes war hier schon Thema. Er verdient es aber einfach, noch einmal in Gänze zitiert zu werden:
“Das schafft natürlich auch Arbeitsplätze. Dementsprechend bin ich dem immer positiv gegenüber gestanden”.
Arbeitsplätze. Na gut. Wir gehen jetzt nicht der Frage nach, ob in dieser Logik eigentlich alles spitze ist, wenn es nur diese berühmten Arbeitsplätze schafft. Sondern wir lassen uns mal auf das Argument ein und schauen, was an diesen Arbeitsplätzen denn wirklich dran ist. Immerhin: Geredet wird von ihnen eine Menge, immer wieder und schon seit Jahren.
Oberbürgermeister Jung nimmt dabei die absolute Spitzenposition ein. Voller Euphorie und komplett gewohnt distanzlos nannte er 2011 RB ein „unglaubliches Geschenk an die Stadt“ und sprach davon, dass „ein Verein in der Zweiten Bundesliga etwa 2000 Arbeitsplätze schaffen, ein Verein in der höchsten Spielklasse sogar 4000 bis 6000 Stellen“ erbringen würde. Marshall-Plan war gestern, heute ist RB.
Arbeitsplätze ohne Ende?
Jung hat natürlich genügend ökonomische Kompetenz, um als verlässliche Quelle für den sicheren Segen von RB zu gelten. So werden diese Zahlen bis heute immer wieder zitiert. In der RB-Jubelschrift der LVZ vom Sommer 2014 (“Der Rasenballer”) fanden sie sich zuletzt, genügten der Redaktion aber offensichtlich noch nicht ganz. Am Horizont dämmerte schon die Vollbeschäftigung, als Guido Schäfer gleich noch die Rede von 44.000 Arbeitsplätzen durch die Bundesliga nachschob. Wir sind sicher: Tendenz steigend.
Argument verstanden? Früher hieß es in diesen Breiten „Chemie bringt Brot, Wohlstand und Schönheit“, aber die Anderen hatten ja ihre Chance, also macht das mit Brot und Wohlstand jetzt alles RB. Wir befürchten nur: Jungs Neuauflage der Rede von den blühenden Landschaften ist eine ungute Mischung aus einigen Fakten, viel Hoffnung und noch mehr Kaffeesatzleserei.
Zum wirtschaftlichen Effekt von Fußballvereinen gibt es überschaubar wenige Studien. Schaut man sich diese genauer an, schrumpft die Basis verlässlichen Wissens weiter. Immer wieder gern zitiert wird eine Untersuchung von McKinsey aus dem Jahr 2010 zum deutschen Profifußball; dazu existieren ein paar kleinere Fallstudien zu Vereinen wie dem HSV, Leverkusen, Wolfsburg oder Osnabrück. Das alles soll hier nicht bis ins letzte Details ausgebreitet werden, aber ein paar Punkte wollen wir doch vorstellen. Burkhard Jung soll dieses Blog ja mit Erkenntnisgewinn lesen. Mal sehen, ob auch wir auf etliche tausend Arbeitsplätze kommen.
Achtung: Zahlen!
Fangen wir bei den direkt Beschäftigten an. Laut LVZ hatte RB zuletzt 85 direkt Angestellte. Das scheint realistisch. Bei Osnabrück waren es zu Zeiten der 3. Liga 50 Arbeitsplätze, beim HSV sollen es 100 sein. Bei all diesen Zahlen sind aber die Spieler schon eingerechnet, dazu kommen Trainer etc. – es ist also nicht so, dass hier großartig Leute von der Straße geholt werden.
Zu den direkt Beschäftigten kommen jeweils noch Personen hinzu, die in Teilzeit beschäftigt werden und zumeist an den Spieltagen für diversen Kram da sind. Dazu sind uns bei RB keine Zahlen bekannt. Bei Leverkusen waren das 2011/12 ca. 1.100 Personen, bei Osnabrück 280; irgendwo in diesem Bereich werden die Zahlen auch bei RB liegen.
Da fehlen noch ein paar bis zur Jung-Prognose. Könnten die nicht alle in der Bratwurst-Industrie entstanden sein? In den einschlägigen Studien sind das „indirekte Effekte“. Dazu zählen tatsächlich die Fanerlöse durch die gesamte Catering-Sparte, aber auch andere Ausgaben der Besucher an den Spieltagen. Zu denken ist außerdem an weitere Leistungen, die durch den Verein beansprucht werden (Werbung), und darüber hinaus gehende Investitionen (im Falle RBs etwa das berühmte Trainingszentrum).
Beim VfL Osnabrück machte das in der Saison 2011/12 circa 13 Mio € Brutto-Umsatz aus, was 4,6 Mio € Wertschöpfung entspricht. Heißt etwas sperrig: „Die erzielte regionale Wertschöpfung entspricht bei einem statistischen verfügbaren Einkommen in der Region von rund 20.000 Euro (NLS 2010) mindestens 250 Vollzeit-Arbeitsplatzäquivalenten, die in der Region geschaffen werden bzw. Personen, die durch den „VfL-Betrieb“ insgesamt ihren Lebensunterhalt in einem Jahr bestreiten können“. Okay. 250 Arbeitsplätze sind nicht nichts, aber auch nicht berauschend.
Nun ist Osnabrück zwar kein Erstligaverein, aber auch dort werden die Zahlen nicht exorbitant größer. Die Studie zum HSV kam auf die Zahl von 740 Arbeitsplätzen, die indirekt und direkt durch den Hamburger Verein geschaffen würden. Und dies ist keineswegs der Durchschnitt in der Bundesliga: In Bremen und Gladbach waren es mit jeweils circa 340 schon deutlich weniger „vollzeitäquivalente“ Arbeitsplätze.
Die Fata Morgana von Burkhard Jung
Angesichts dieser Zahlen ist das Gerede von Jung natürlich Wahnsinn. Dafür gibt es unterschiedliche, mögliche Erklärungen. Entweder hat er sich schlicht verrechnet bzw. die Statistiken falsch verstanden und denkt, die Beschäftigungseffekte entstehen jedes Jahr aufs Neue. Macht dann nach ein paar Jahren eben ein paar Tausend Stellen. Ist aber falsch.
Oder Jung glaubte im Liebestaumel mit dem heilsbringenden Gebieter einfach an jede Zahl, die ihm und seinem Büro so unterkommt. Zum Beispiel den Berichten der DFL. In deren jährlich erscheinendem Report gibt es auch eine Passage, in der von Arbeitsplätzen die Rede ist. Für 2014 ist davon die Rede, dass „insgesamt (…) rund 45.000 Menschen in direkter Anstellung oder durch Beauftragung der 36 Clubs der Bundesliga und der 2. Bundesliga“ arbeiteten. Da kommen sie also her, die oben von Dr. oec. Schäfer zitierten Zahlen.
Und Schäfer hat die DFL genau so zitiert, wie die das so will, um als regelrecht systemrelevant zu erscheinen. Nicht umsonst hatte man ja einige Jahre zuvor McKinsey mit einer Studie beauftragt. Die können rechnen, aber auch schöne Sätze schreiben. Liest man die genauer, wird einiges klarer. Von den 45.000 Personen „in direkter Anstellung oder durch Beauftragung“ entfallen 30.000 auf die Bundesliga. Teilt man dies auf die 18 Vereine auf, sind das im Schnitt 1.700 Beschäftigte pro Verein. Aber da sprechen wir natürlich keineswegs von Vollbeschäftigten! Beschäftigt heißt eben auch Aushilfskräfte oder bei Wachdiensten angestellt. Nur weil ein Wachmann am Samstag seinen Dienst im Zentralstadion schiebt, macht das noch lange nicht seinen Lebensunterhalt aus. Aber schon nach einer Stunde Karten abreißen macht die DFL einen Strich auf ihrer Zählliste und kommt so am Ende des Jahres auf 45.000 Beschäftigte im Profifußball.
Alles in allem sind wir also meilenweit von den Zahlen entfernt, die Jung in die Welt gesetzt hat. Wäre halb so schlimm, wenn nicht bis heute jede Unterstützung für RB (auch) damit legitimiert würde.
Aber vielleicht wird ja auch am Ende alles gut. Wir liegen in der rot-weißen Hängematte, genießen die ganzen indirekten und induzierten Effekte und legen einmal in der Woche vor dem Rathaus Blumen nieder. Als Dankeschön. Für das Geschenk.
Sehr schöne Analyse, wurde mal Zeit – weiter so!
Wenn das erst der Czupalla liest. Ich sehe den Brief-Storm schon auf euch zurollen …